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Weltkrebstag 4. Februar 2023

„Es ist so wichtig, darüber zu reden“

Plötzlich steht das Leben Kopf: Während ihrer Schwangerschaft bekam Diana (heute 45) die Schockdiagnose Schilddrüsenkrebs. Es folgt eine schwere Zeit, durch die sich die zweifache Mutter und Lehrerin durchkämpft. Heute ist sie krebsfrei. Doch die Krankheit hat Spuren hinterlassen – körperliche und seelische. Im Interview erzählt Diana, die das Kind im Bauch während der Schwangerschaft verlor, was sie in diesem Kapitel ihres Lebens gelernt hat, wie wichtig Gespräche mit Menschen sind, die einen verstehen, und warum sich beim Umgang mit dem Tabuthema Krebs nur etwas ändern kann, wenn viele Menschen darüber reden.
Gemeinsam stark: Der Austausch ist unheimlich wichtig.
Gemeinsam stark: Der Austausch ist unheimlich wichtig. (Bilder: privat)

Liebe Diana, kannst du beschreiben, was dir im Januar 2016 durch den Kopf ging, als du die Diagnose Krebs bekommen hast?  Welche Fragen und Gedanken haben dich damals bewegt?

Diana: Ich kann mich noch gut daran erinnern. Eigentlich war ich wegen eines sehr freudigen Ereignisses zum Arzt gegangen: Ich war schwanger – und da ich wegen meiner Schilddrüsenunterfunktion Medikamente nahm, wollte ich die Neu-Einstellung mit meinem Arzt besprechen. Beim Ultraschall wurde er plötzlich sehr zögerlich. Er hat dann, ohne große Erklärungen, mit einer Biopsienadel von außen in meinen Hals gestochen, um eine Gewebeprobe zu entnehmen. Kurz danach habe ich dann tatsächlich die Diagnose papilläres Schilddrüsenkarzinom bekommen.

Erst mal war da ein riesiges, tiefes Loch. „Okay, pass auf, du hast Krebs, du kannst daran sterben, Du hast ein Baby im Bauch. Was machst du jetzt? Und wem sagst du das?“ Mein Mann hat selbst seine Mama an Krebs verloren, als er gerade mal fünf Jahre alt war. Unsere Kinder waren damals drei und fünf.  Ihm wollte ich es auf keinen Fall sagen. Aber wem sonst? Als ich dort in der Praxis saß und gehört habe, was los ist, wusste ich überhaupt nicht, was ich tun soll. Viele Fragen schossen mir durch den Kopf: „Mit wem redest du? Was tust du? Was fragst du? Hast du überhaupt Fragen?“. Schließlich habe ich es meinem Mann abends doch erzählt.

Hast du sonst noch mit jemandem über die Diagnose gesprochen?

Diana: Alles, was ich erlebe und durchmache, verarbeite ich für mich zunächst oft in Gedichten und Texten. Ich habe damals Gott und die Welt angerufen, vor allem auch meine beste Freundin. Das war dann leider aber auch das letzte Telefonat, das wir geführt haben.

Wir haben natürlich auch mit den Kindern gesprochen: „Mama muss jetzt erst mal ins Krankenhaus und es muss erst mal geguckt werden, wie es weitergeht.“ Ich habe es schließlich meinen Eltern erzählt und in Gedichten für mich thematisiert.
Nachdem immer mehr Freunde nachgefragt haben, habe ich es dann auf Facebook öffentlich gemacht. Erst mal auf meiner Seite. Plötzlich fragten immer mehr Menschen nach – auch Menschen, die ich bis dato noch gar nicht kannte. So entschied ich mich, darüber zu schreiben. Ich wusste, dass mir das Schreiben Spaß macht und dass es mir helfen würde. So habe ich einen Blog erstellt.

Diana – krebsfrei September 2016

Du hast es ja schon kurz angedeutet, dass die Reaktionen auf deine Diagnose doch sehr unterschiedlich waren und es auch viele gab, die nicht so schön waren. Was für Reaktionen hast du als besonders schwierig empfunden?

Diana: Der schlimmste Kommentar war ehrlich gesagt der, der keiner war. Nämlich der von meiner damaligen besten Freundin, die sich überhaupt nicht mehr gemeldet hat. Sie meldete sich erst wieder, als es hieß, dass ich krebsfrei bin und schlug ein Abendessen vor. Das war völlig daneben. Auch Kommentare wie „Du bist stark und das wird für dich ein Kinderspiel“, „Mit deinem Dickkopf schaffst du alles“ und „Hach, wenn Krebs, dann den Krebs“ haben mich verletzt. Der Arzt selbst hat mir erklärt, der Mercedes unter den Krebsarten sei der, den ich mir „ausgesucht“ hätte. Als wenn ich mir irgendetwas ausgesucht hätte – und Mercedes fahre ich auch nicht. Auch ganz banale Aussagen wie „Gute Besserung“ fand ich unangebracht. Sowas war natürlich nicht bösartig gesagt, aber leider völlig unüberlegt und einfach nicht passend.

Wie hast du dich bei den Reaktionen und Kommentaren, die du beschrieben hast, gefühlt?

Diana: Das ist eine gute Frage. Wie habe ich mich dabei gefühlt? Ich vergleiche das oft mit einer Massenkarambolage. Ich war immer auf der Überholspur. Vierspurige Autobahn, Tempo 180 und immer die linke Spur entlang gerast. Das war mein Leben. Ich war eine absolute Powerfrau und alles lief gut. Dann habe ich eine Vollbremsung eingelegt und es gab einen Riesenunfall, an dem ganz viele Menschen beteiligt waren. Meine Kinder, mein Mann – und ich war schuld daran. Wenn du dann noch hörst: „Du bist stark, du schaffst es“ und dann schaffst du es eben nicht so, wie die anderen sich das vorstellen, dann geht es dir noch viel schlechter.

Wie war das mit deinem Mann? Hattest du da das Gefühl, dass er dich gut unterstützt hat und du mit ihm offen sprechen konntest?

Diana: Ja, er war sehr für mich da. Er hat nach seinen Kräften alles getan, was er konnte. Er hat versucht, mir den Rücken zu stärken und freizuhalten. Auch durch ganz banale Dinge wie das Erledigen der Hausarbeit. Es stellte sich im Nachhinein heraus, dass es gar nicht so gut war, wie es gemeint war. Denn wenn du die ganze Zeit alles abgenommen bekommst und deinen Alltag praktisch gar nicht mehr meistern musst, dann hilft dir das langfristig nicht.

Kam die Erkenntnis, dass es dir gar nicht gut tat, alles abgenommen zu bekommen, im Nachhinein später oder habt ihr mal darüber gesprochen?

Diana: Ja, das war tatsächlich auch wichtig. Denn das, was daraus entstanden ist und diese Verteilung der Rollen, die dann daraus resultierte, waren nicht in Ordnung und taten uns beiden nicht gut. Das habe ich aber damals nicht, sondern erst viel später, bemerkt. Ich selbst hatte sehr lange mit all dem zu kämpfen und auch mit den Nebenwirkungen – bis heute. Ich bin immer noch nicht wirklich fit und bin immer noch traumatisiert. Es hat sich erst in den letzten zwei Jahren herauskristallisiert, dass es nicht hilft, wenn man alles abgenommen bekommt. Im Gegenteil – man muss da viel stärker gemeinsam durchgehen und auch früher sagen, was einem passt und was einem nicht passt. Auch wenn es lieb gemeint ist, ist es manchmal einfach nicht gut.

Würdest du auch sagen, dass das von beiden Seiten wichtig ist zu sagen, was passt und nicht passt?

Diana: Absolut, ja. Es hilft niemandem, wenn man Jahre später vorgeworfen bekommt: „Ich kam mit deinem Leiden nicht klar.“ Besser ist es, einfach offen zu sein. Das sag ich aber auch jedem. Nicht nur dem Partner, sondern auch allen Freunden. „Wenn ihr nicht wisst, was ihr sagen soll, dann sagt genau das ja. Sagt: „Hey, ich kann damit nicht umgehen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich weiß nicht, wie ich dir helfen kann.“ Das hilft. Dann weiß ich “Okay, der- oder diejenige hat ein Problem damit.“ Vielleicht kann man dann gemeinsam überlegen: „Wie reden wir darüber? Oder reden wir überhaupt drüber? Was machen wir?“ Aber sich still zurückziehen und den anderen dann komplett stehen lassen, ist definitiv nicht der richtige Weg. Also lieber nach vorne und sagen: „Hey, sorry, ich würde gern irgendwie für dich da sein, aber ich weiß nicht wie. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Das Thema überfordert mich komplett.“ Wer weiß, was man da selbst schon erlebt hat und was da im Background war. Dann sollte genau das kommuniziert werden.

Gemeinsam stark: Unter dem Motto #mehrAustausch rückt Janssen Cilag gemeinsam mit Krebs-Blogger:innen und Expert:innen das Thema Krebs stärker ins Auge der Öffentlichkeit. Denn sobald jemand im näheren oder auch weiteren Umfeld die Diagnose Krebs erhält, sind viele schlichtweg überfordert und verunsichert, wie sie damit umgehen sollen, verdrängen das Thema bzw. trauen sich nicht, es konkret anzusprechen oder nach Erwartungen zu fragen. Dabei ist es gerade in dieser Situation wichtig, über die Erkrankung und alles, was sie mitbringt, bei Bedarf offen sprechen zu können und die Unterstützung des sozialen Umfelds zu haben.

Gab es auch die Situation, dass Leute eher übervorsorglich oder sehr mitleidig reagiert haben?

Diana: Eher nicht. Aber ich glaube, das hängt damit zusammen, dass ich vorher so eine Powerfrau war und jeder dachte: „Die kriegt es hin.“ Keiner hat gedacht, ich könnte Hilfe gebrauchen, in welcher Form auch immer. Und wenn du krank bist, fragst du nicht wirklich gerne um Hilfe. Mir fiel das extrem schwer. Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, dass ich das machen muss, weil sonst keiner kommt – auch wenn du öffentlich schreibst, wie schlecht es dir geht. Ich habe aber auch von Freunden später gehört, dass sie einfach davon ausgegangen sind, dass ich genug Unterstützung hatte. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, darüber zu reden.

Was hat dir dann geholfen, mit der Situation umzugehen?

Diana: Mein Anker war das Schreiben. Ich habe einen Blog erstellt, auf dem ich absolut ehrlich war und gesagt habe, wie ich mich fühle. Auch das Abwenden meiner engsten Freunde habe ich thematisiert und das wurde auch kommentiert mit den Worten „Du hättest dich ja auch mal melden können.“ Das Schreiben hat mir gezeigt: Egal, wie du es nach außen kommunizierst, es wird gelesen und es wird auch geliked. Und es wird vielleicht auch gescherzt. Viele solidarisieren sich mit dir, auch Menschen, die du gar nicht kennst.

Wichtig ist es in meinen Augen, sich Verstehende zu suchen. Also Menschen, die dasselbe durchgemacht haben, wie du und dich daher verstehen. Einfach weil sie es selbst erlebt haben. Und obwohl sie gut zuhören können, musst du eigentlich gar nicht viel reden, weil diese Menschen wissen, wie es dir geht. Diese Kontakte waren letztendlich mein Rettungsboot.

Kannst du eine Situation nennen, wo es dir unheimlich geholfen hat, als du darüber geschrieben hast und dann vielleicht auch eine hilfreiche Antwort bekommen hast?

Diana: Ja, jemand bis dato völlig Fremdes hat mir geschrieben: „Nimm dir alle Zeit der Welt oder nimm dir Zeit, die du brauchst und es kann allen anderen egal sein.“ Daraufhin habe ich erstmal sehr lange geweint. Mein eigener Arzt hatte mir erklärt, dass ich in zwei Wochen wieder arbeiten gehen solle. Dann waren zwei Wochen rum und mir ging es unglaublich schlecht und ich dachte: „Was stimmt denn nicht mit dir? Der Arzt hat doch gesagt, in zwei Wochen ist alles wieder gut.“

Ich war drauf und dran, tatsächlich relativ schnell zurück zur Arbeit zu gehen. Gleichzeitig machte ich mir Sorgen: „Wie machst du das? Was sollst du denn jetzt tun? Du bist doch noch gar nicht so weit.“ Ich hatte tatsächlich schon mit den Leuten gesprochen, dass ich zurückkomme. Und dann habe ich diese Nachricht bekommen und dachte: „Genau das machst du jetzt. Du bist noch nicht so weit, du brauchst noch Zeit. Das geht nicht.“ Denn nur weil irgendjemand so etwas sagt und dich damit unter Druck setzt, heißt das nicht, dass du dir nicht die Zeit nehmen kannst, die du brauchst.

Ich glaube, dass dies der häufigste Konsens in den vielen Nachrichten, die ich bekommen habe, war. So viele Frauen haben gesagt, dass sie sich mehr Zeit hätten nehmen müssen und zu früh in ihren normalen Alltag zurückgegangen sind.

Diana – vor und während dem Krebs

Hat man dir die Erkrankung angesehen? War der Krebs auch nach außen sichtbar?

Diana: Ich habe seit der Diagnose 30 Kilo zugenommen. Früher war ich Leistungssportlerin und heute fühle ich mich als Pummelfee. Aber wirklich krank habe ich nicht ausgesehen. Ich habe da irgendwann auch etwas auf meinem Blog zu gepostet, im Sinne von „Vor und während der Krebserkrankung“. Dann haben mir die Leute Bilder geschickt. Hier wurde ganz schnell klar, dass es eben nicht dieses eine Stereotyp gibt. Nicht jeder, der Krebs hat, hat eine Glatze und ist abgemagert, so wie man es in den Filmen sieht. Diese Stereotypisierung ist ein großes Problem.

 

MEIN Krebsratgeber
Auf dem Portal MEIN Krebsratgeber stellt Janssen Informationen, konkrete Hilfestellungen und Tipps sowie Beratungsmöglichkeiten gebündelt und fachlich geprüft für Patient:innen und ihre Angehörigen zur Verfügung. Als Teil der Zusammenarbeit mit Patient:innen möchte Janssen mit diesem Ratgeberangebot Betroffenen und ihren Angehörigen umfassendes Wissen sowie praktische Hilfe in nahezu allen Situationen bieten – kurzum: einen persönlichen Wegbegleiter durch alle Phasen der Krebserkrankung.

Was würdest du dir für die Nachsorge noch stärker wünschen?

Diana: Es müsste viel mehr Programme geben, die einen an die Hand nehmen und motivieren. Man bräuchte jemanden, der den Körper und die Seele wieder mit aufbaut, mit dem man sprechen kann, der einen aber auch fordert und fördert, so dass man einfach wieder auf die Beine kommt. Das sollte nicht der Ehepartner oder der beste Freund bzw. die beste Freundin sein, sondern jemand ganz neutrales.

Was gibt dir Mut und Hoffnung, um nach vorne zu blicken oder auch zu hoffen, dass das Thema Krebs und Rücksichtnahme in der Gesellschaft stärker präsent wird?

Diana: Es kann sich nur dann etwas ändern, wenn viele Menschen darüber reden. Und dazu trage ich bei. Es gibt lauter kleine Vereine und es gibt Treffpunkte – hier tut sich definitiv etwas. Für mein Empfinden ist es allerdings immer noch viel zu wenig und viel zu langsam. Aber etwas tut sich auf jeden Fall.

Liebe Diana, herzlichen Dank für das Gespräch!

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