Lücken in der Patientenversorgung und deren Finanzierung im Bereich psychische Erkrankungen
Deutliche Lücken in der Patientenversorgung und deren Finanzierung in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland – gerade im Bereich psychische Erkrankungen
5. Dezember 2023
Expert:innen fordern flächendeckenden, gleichberechtigten Zugang zu und rasche Verfügbarkeit von innovativen Therapien nach internationalem Standard für alle Patient:innen
Die Versorgung von Patient:innen mit innovativen Therapien liegt in Wien, Niederösterreich und im Burgenland im Argen. Es herrscht ein großer Ressourcenmangel im niedergelassenen und Krankenhausbereich. Gerade das Beispiel der psychiatrischen Erkrankungen zeigt: Das Recht der Patient:innen auf internationalen Behandlungs-standard ist nicht mehr gegeben. Laut Univ. Prof. Dr. Michael Musalek würden mit Blick auf andere Länder mehr wichtige Arzneimittel erstattet als in Österreich, die forschende Pharmaindustrie ziehe sich zurück. Es gilt, in Innovationen zu investieren und die Versorgungsmodelle nachhaltig zu stärken, flächendeckend, disziplinenübergreifend und mit Selektions- und Qualitätskontrolle. Denn Innovationen entlasten nachweislich den Staatshaushalt und verbessern Therapieausgang und Lebensqualität der Patient:innen.
Zu diesem Ergebnis kamen 15 Expert:innen aus den Bereichen Psychiatrie, Onkologie, Public Health, Patientenvertretung und Sozialpartnerschaft im Rahmen der Janssen Gesundheitsgespräche für Wien, Niederösterreich und das Burgenland zum Thema „Leistbarkeit und Finanzierung von Innovationen im Gesundheitsbereich“ am 16.11.2023 – und fordern klare Leitlinien für Pharma-Investitionen und Lösungsmöglichkeiten wie interdisziplinäre Netzwerke am Beispiel des CAR-T Zellnetzwerks.
Pharma-Innovationen entlasten Budget um rd. 100 Millionen Euro
Das Einsparungspotenzial der klinischen Forschung für das Gesundheitssystem wird mit rund 100 Millionen Euro jährlich beziffert.1 Unter anderem belasten psychische Erkrankungen das Gesundheitssystem und die Gesellschaft stark: Eine Krankheitskosten-Studie des Instituts für Pharmaökonomische Forschung und des Wirtschaftsforschungsinstituts Economica zeigte, dass das österreichische Gesundheitssystem in Jahr 2021 345,0 Millionen Euro zur Behandlung der therapieresistenten Depression (Basisannahme: 43.732 Betroffene) ausgab, der österreichischen Gesellschaft entstanden insgesamt 1.029,8 Millionen Euro an Kosten durch die Erkrankung.2
„Diese Zahlen zeigen deutlich die Sinnhaftigkeit, im psychiatrischen Bereich verstärkt zu investieren und pharmazeutische Innovationen rasch verfügbar zu machen. Es müssen weiterhin Anreize für pharmazeutische Unternehmen zur Erforschung von innovativen Arzneimitteln geschaffen und zugelassene Innovationen den Patient:innen in Österreich auch tatsächlich zugänglich gemacht werden. Alle Player des Gesundheitssystems müssen gemeinsam an einem Strang ziehen, um die bestmögliche Versorgung der Menschen zu gewährleisten – jetzt und in Zukunft“, betont DI Ines Unfried, MBA, Lead Governmental Affairs & Patient Affairs Janssen Austria.
Psychiatrischer Bereich unterversorgt und unter globalem Standard
„Patient:innen mit psychiatrischen Erkrankungen werden bei uns in Österreich nicht auf internationalem Standard versorgt: Psychotherapie auf Krankenkasse ist eine Seltenheit, neue innovative Medikamente werden oft nicht erstattet. Die Prognose sowie der Therapieausgang werden ohne Investition in Innovation verschlechtert – und die Kosten steigen“, betont Univ. Prof. Dr. Michael Musalek, Sigmund-Freud Privatuniversität Wien und Berlin, in seiner Keynote. Im internationalen Vergleich würden mehr wichtige Arzneimittel in der Psychiatrie erstattet. Zusätzlich sei in diesem Zusammenhang auch ein Rückzug der forschenden Pharmaindustrie zu beklagen: Lediglich zwei Firmen seien in diesem Bereich noch tätig, unter anderem Janssen, die pharmazeutische Sparte von Johnson & Johnson. „Immer fragen wir: ‚Können wir uns das leisten?‘ Doch wir müssen die Frage umdrehen und herausfinden, wie unser Gesundheitssystem aussehen soll und wie wir dort hinkommen. Die Hauptfrage muss also sein: ‚WOLLEN wir uns das leisten?‘“, so Musalek.
Mag. Dr. Caroline Culen, Geschäftsführerin der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, bestätigt den dringenden Handlungsbedarf, gerade bei jungen Menschen: „Zwei Millionen Menschen in Österreich sind Kinder und Jugendliche – und damit unsere Zukunft. Bei körperlichen Erkrankungen erhalten sie Therapien, die vom Staat unterstützt und ausfinanziert werden, aber um ihr psychisches Wohlergehen kümmert sich trotz deutlicher Steigerungen bei depressiven Symptomatiken, Angststörungen etc. gefühlt niemand. Hier braucht es dringend sowohl eine Verbesserung der psychologischen Betreuung und Versorgung als auch die Zulassung von innovativen Medikamenten.“
Patient:innen-Recht auf Gleichbehandlung und Transparenz
Dr. Gerhard Jelinek, Leiter der Wiener Pflege- und Patient:innenanwaltschaft, betont die wichtigen Prinzipien der Gleichbehandlung und Transparenz aus Patientenperspektive: „Es wird innerhalb unseres Gesundheitssystems versucht, die Kosten gerade von kostenintensiven Therapien auf jeweils andere Kostenträger abzuwälzen. Das widerspricht dem Prinzip der Gleichbehandlung, das für uns aus Patientenanwaltssicht derzeit nicht umgesetzt wird. Stichwort Postleitzahl: Je nachdem, wo man wohnt, wartet man unterschiedlich lange auf einen Arzttermin.“ Finanzierung aus einer Hand wäre laut Jelinek eine Möglichkeit, würde aber mit einem Machtverlust einhergehen, da nur ein Träger die Entscheidungsgewalt bündeln würde. „Ich würde mir grundsätzlich mehr Transparenz für Patient:innen wünschen, auch bei der Finanzierung der Leistungen – sie haben das Recht zu wissen, welche Therapien zur Verfügung stehen und welche sie bekommen, oder warum nicht. Außerdem müsse es eine Gleichbehandlung von Krankheiten geben – egal ob häufige oder seltene, körperliche oder psychische Erkrankungen“, bestärkt Jelinek.
Politik muss Finanzierungsspitzen abfangen
Auch Hon. Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, MBA, Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Niederösterreich, sieht die Frage der Gerechtigkeit als essenziell für die Allokation der Finanzierungen. „Moralphilosophisch gesehen wäre der gängige Weg, den größten Nutzen für die größtmögliche Zahl an Menschen zu generieren. Doch die Leistungen werden immer individualisierter, siehe auch personalisierte Arzneimittel. Somit müsste zwangsläufig auch die Bemessung der Prämien individualisiert werden, eine Horrorvorstellung.“ Spezielle Fonds einzurichten, wie es in anderen Ländern gemacht wird und auch in Österreich im Kleinen schon passiert, sieht der Experte als notwendige Zwischenlösung. „Die Politik muss in der Lage sein, Finanzierungsspitzen abzufangen – das Risiko kann nicht bei den Krankenhäusern liegen. Wir brauchen Lösungen, die für die nächsten Jahre Sicherheit geben – für Patient:innen, aber auch für die Pharmaindustrie. Ein legistisch gestützter Mechanismus muss erarbeitet werden und festlegen, welche Erkrankungen und welche Medikamente aus dem Extra-Topf bezahlt werden – hier müssen Expert:innen aus Medizin, Wissenschaft und Industrie ihre Kräfte bündeln und die Legistik mit ihrem Know-how unterstützen.“ Die Therapiefreiheit der Mediziner:innen darf keinesfalls beschnitten werden.
CAR-T-Netzwerk: Vorbildliche Lösung aus der Onkologie
Die CAR-T-Netzwerkbildung im Bereich Blutkrebs gibt sinnvolle Anstöße auch für die Leistbarkeit von Innovationen in anderen Therapiebereichen. „Neue Therapien sollten alte ersetzen – und innovative, personalisierte Therapien müssen allen geeigneten Patient:innen sofort nach EMA-Zulassung zur Verfügung stehen. Eine Lösung ist Netzwerkbildung mit einheitlichen Selektions- und Kontrollmöglichkeiten, wie es unser CAR-T-Netzwerk erfolgreich am konkreten Beispiel von Zelltherapien vorzeigt“, erklärt Univ. Prof. Dr. Ulrich Jäger, Leiter des CAR-T-Netzwerkes. „Denn im Spannungsfeld zwischen ‚sozialmedizinisch tätiger Gesellschaft‘ und benötigter Managementarbeit muss das Beste für die Patient:innen herausgeholt und erreicht werden. Es gilt, Innovationen in einem Umfeld ökonomischen Drucks bereitzustellen.“ Bei der CAR-T-Zelltherapie handelt es sich um eine personalisierte Immuntherapie. Passende Patient:innen werden vereinheitlicht für alle zertifizierten Zentren per Selektionsalgorithmus identifiziert, die tatsächliche Entscheidung lokal im behandelnden Zentrum gefällt. Dadurch wird ein gleichwertiger und flächendeckender Zugang für Patient:innen in Österreich sichergestellt, der außerdem zukünftig zu Einsparungen von Krankenhausressourcen zum Wohle der Patient:innen und des Gesundheitssystems führen könnte.
Langzeiteffekte: Therapieoptimierung und Kostenersparnis
Voraussetzung für innovative Therapien in einem finanziell gestressten Umfeld seien laut Jäger ein sinnvoller und verantwortungsvoller Einsatz der Ressourcen, eine Qualitätskontrolle sowie die Überprüfung und Konzentration auf wenige definierte Zentren, was Zuweisungsmöglichkeiten erleichtert. „Netzwerkbildung mit einheitlicher Selektions- und Qualitätskontrolle bietet viele Vorteile: Zugang zu den allerneuesten Therapien, bessere Kurationsraten, Zentralisierung und Zuweisung im Rahmen des österreichischen Stufenplans, Förderung industrieller und akademischer Studien zur Therapieoptimierung und frühzeitige Involvierung von Zuweisern, Zahlern und Patient:innen. Langzeiteffekte, Ersparnisse bei anderen Therapien und die Bereitstellung alternativer Behandlungsmöglichkeiten zur Verkürzung der Zugangszeiten können daraus generiert werden“, so Jäger. „Als Schlusssatz möchte ich stehen lassen: Wir sind in der Therapieoptimierung zu großen Teilen auf die Industrie angewiesen, weil für klinische Forschung zu wenige öffentliche Förderungen verfügbar sind.“
Die Publikation „Janssen Gesundheitsgespräche 2023: Leistbarkeit und Finanzierung von Life-Science-Innovationen im Gesundheitsbereich – was kann Österreich?“ ist gerne unter https://www.jansen.com/austria/gesundheitsgespraeche zum kostenlosen Download erhältlich.
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Janssen Austria ist die Österreich-Niederlassung von Janssen, der pharmazeutischen Unternehmenssparte von Johnson & Johnson. Die Janssen-Cilag GmbH mit Sitz in Wien beschäftigt mehr als 150 Mitarbeiter:innen und fokussiert sich auf den Vertrieb von Arzneimitteln in den Therapiegebieten Neurowissenschaften, Onkologie/Hämatologie, Immunologie, Infektiologie und Lungenhochdruck sowie auf die Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen, Ärzt:innen, Apotheken, Pflegepersonal, Verwaltung, Behörden und anderen Partner:innen im Gesundheitswesen.
Janssen Austria wurde 1982 als Janssen Pharmaceutica Österreich gegründet. Der Standort existiert jedoch bereits seit 1948 unter dem Namen Cilag Österreich. 1995 schlossen sich die Unternehmen Janssen und Cilag zu Janssen-Cilag zusammen und waren später Teil des Schweiz-Österreich-Clusters. Nach einer Transformationsphase ist Janssen Austria seit 2020 explizit auf den österreichischen Markt ausgerichtet und zählt zu den Top 3 am österreichischen Pharmamarkt (Quelle: IQVIA Gesamtmarkt („TOTA“) MAT Apr 2023)
https://www.janssen.com/austria/
Referenzen
- Walter E et al. Economic impact of industry-sponsored clinical trials of pharmaceutical products in Austria. J Med Econ. 2020 Jun;23(6):566-574
- Walter E et. al. The Cost-of-Illness and Burden-of-Disease of Treatment-resistant depression in Austria. J Med Econ. 2023 Jan-Dec;26(1):1432-1444
AT_CP-424532